Humboldt-Universität zu Berlin - Kultur-, Sozial- und Bildungswissenschaftliche Fakultät - Institut für Asien- und Afrikawissenschaften

Projekte

 

„Gendering“ Militärgemeinschaften: Schwarze Zivilistinnen und Apartheid-Südafrikas Militär

Projektleitung: Dr. Lennart Bolliger

Im Laufe der Geschichte waren Armeen selten auf rein militärische Aktivitäten oder in sich geschlossene Militärstützpunkte und die dortigen (männlichen) Soldaten beschränkt. Wie jüngste geschichtliche Untersuchungen gezeigt haben, pflegten Armeen schon immer enge Beziehungen zu Zivilpersonen, insbesondere zu Zivilistinnen, und waren von diesen abhängig. Diese Verbindungen führten wiederum zur Entstehung von sogenannten „Militärgemeinschaften“. Vom frühneuzeitlichen Europa zur amerikanischen Revolution haben zahlreiche Frauen nicht nur mit Armeen zusammengelebt, sondern waren von entscheidender Bedeutung für deren Funktionieren und Überleben. Infolgedessen haben Frauen die Auswirkungen von männerdominierten Armeen auf umliegende soziale, politische und wirtschaftliche Beziehungen auf grundlegende Weise beeinflusst. In verschiedenen Kontexten haben Armeebefehlshaber beispielsweise versucht die Beziehungen zwischen Soldaten und Frauen durch Ehe- und Familienvorschriften zu regulieren, was sich auf religiöse, kulturelle und rechtliche Heiratspraktiken in der weiteren Zivilgesellschaft auswirkte. Durch ihre Annäherung an Armeen konnten Frauen wiederum ihre gestärkte Verbindung nicht nur zum Militär, sondern auch zum Staat, dazu nutzen, ihre eigenen Interessen zu fördern. Dadurch veränderten sich oftmals auch ihr Status als Staatsbürgerinnen und ihr eigenes Verständnis von Staatsangehörigkeit.

Solche Ansätze zur Untersuchung von Armeen sind bisher jedoch selten in afrikanischen Kontexten, wo die Beziehungen und Auswirkungen von Militärgemeinschaften durch die Geschichte von Rassismus und Kolonialismus weiter erschwert wurden, angewandt worden. Dies gilt insbesondere für die lokal rekrutierten Armeen der europäischen Kolonial- und Siedlerregime, welche für die Bildung von Kolonialstaaten von zentraler Bedeutung waren – zunächst durch die Erweiterung und Sicherung von Machtgebieten und danach durch die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit und die Bewachung der äußeren Grenzen. Dieses Forschungsprojekt konzentriert sich auf Zeitzeugeninterviews mit schwarzen Zivilistinnen, die mit einer der mächtigsten und einflussreichsten afrikanischen Armeen verbunden waren: der South African Defence Force (SADF) der Apartheid-Ära. Im Kern stellt das Projekt die folgende Forschungsfrage: wie ermöglicht die Analyse von Militärgemeinschaften mit Fokus auf die Geschichten von Frauen ein neues Verständnis von zivil-militärischen Beziehungen und der Entstehung von Staaten?

Dieses Projekt mit einer Laufzeit von zwei Jahren (2019-2021) wird von der Fritz Thyssen Stiftung gefördert.