Humboldt-Universität zu Berlin - Kultur-, Sozial- und Bildungswissenschaftliche Fakultät - Institut für Asien- und Afrikawissenschaften

Reflexion, über das eigene Medienhandeln und Medienberichterstattung hinsichtlich der Anschläge in Paris am 13.11.2015

Crispin Winter

An dem Abend des Geschehens war ich bei einer befreundeten Familie zum Essen eingeladen. Bei Wein und guter Stimmung unterhielten wir uns lange und ausgiebig, bis schließlich der jüngere Sohn, der als einziger das Fußballspiel mitverfolgt hatte, aufgelöst und erschüttert in unsere Runde stieß. Dabei meinte er zunächst ganz verwundert, ob wir denn noch gar nichts mitbekommen hätten. Ich frage zunächst „Was“ und dann „Wie“, worauf er direkt meinte „halt mit dem Smartphone“ (ich selbst besitze keins) und uns daraufhin die Geschehnisse schilderte, soweit er sie nach dem Fußballspiel über die Tagesschau mitverfolgt hatte. Dies schaffte eine ganz andere Stimmung, welche sich vor allem in der stark emotionale Reaktion des kleinen Jungen und unseren Worte der Beruhigung in meinem Gedächtnis festsetzte. Ich wollte mich von diesen Neuigkeiten nicht gleich so mitreißen lassen und erst einmal versuchen, alles von mir fernzuhalten, da ich wusste, dass mich das Passierte noch früh genug einholen und eine gewisse Omnipräsenz um einen herum einnehmen wird. Verbunden auch mit den Erinnerungen an „Charlie Hebdo“, als ein Ereignisstrudel, der mich zu dieser Zeit schneller mitriss als es mir lieb war. Ich war an diesem Abend der Einstellung, dass es mir sehr viel lieber sei, mich an einem anderen Zeitpunkt bewusst damit auseinanderzusetzen und verspürte auch keine große Neugier oder das Bedürfnis, sofort am Geschehen teilzuhaben.

Am nächsten Morgen hatte ich die Anschläge zunächst gar nicht im Kopf, jedoch just in dem Moment, als ich morgens Musik in Youtube anmachen wollte, mahnte die französische Flagge hinter dem Symbol der Plattform und sogleich wurde ich, man könnte sagen, in den Strudel der Ereignisse gezogen. Jedoch blieb ich bei meinen gewohnten Kanälen und schaute mir zunächst nur die Nachrichten auf Arte Jounal an, die natürlich sehr ausgiebig über das Thema berichteten. Sehr gut an der Berichterstattung fand ich vor allem den „Meta-Teil“ über die Berichterstattung vor Ort selbst. Wo der große Andrang von Journalisten und Agenturen aus aller Welt an den Tatorten gezeigt wurde, was mich auch, wie jemand im Seminar erwähnte, ein Stück weit an den Film „Peepli live“ denken ließ.

 

Ich merkte schnell, wie sehr die Medien ein „großes starkes Wir“ heraufbeschworen, ganz im Sinne der von Benedict Anderson geprägten „Imagined Community“, und zum Beispiel die großen Meinungsverschiedenheiten und Disharmonien in der EU im Hinblick auf die Flüchtlingsströme damit erst einmal wie weggeblasen waren. Die reale Bedrohung des gemeinsamen Feindes scheint in vielerlei Hinsicht ein sehr wirksames Mittel zur Vergemeinschaftung zu sein. Gut an der Berichterstattung von Arte fand ich vor allem auch eine Reportage, die ein paar Tage nach den Geschehnissen eine Frau in Beirut interviewte, die selbst einen Sohn durch die Anschlagserie verloren hatte und das nur sehr gering vorhandene Interesse der internationalen Medien an diesen Ereignissen ansprach. Als ungerecht empfand sie auch die fehlende Möglichkeit, in Facebook bei Menschen einen Status „in Sicherheit“ zu aktivieren, wie es bei Franzosen der Fall war. Laut ihr wäre eine solche Funktion auch in Beirut sehr hilfreich gewesen. Arte kritisierte sich hierbei ein Stück weit selbst, da auch sie so gut wie kaum über die Vorfälle in Beirut berichtet hatten.

 

Da in den Tagen der vielen plötzlich großen Geschehnisse viele andere Dinge im Alltag meine Aufmerksamkeit forderten, blieb mir nicht die Zeit, mich intensiver mit den Konsequenzen zu beschäftigen. Darum fand ich es sehr gut und spannend, als diese im Seminar zur Sprache kamen.

Ich verstehe, dass solche dramatischen Ereignisse nicht in Relation gesetzt werden sollten und anhand des Grads ihres Schreckens und der Zahl der Toten aneinander abgewogen werden (Tote durch den Terror in arabischen Ländern im Vergleich zu europäischen), da es nicht darum geht, etwas zu relativieren, sondern vielmehr in einen Bezug zu einander zu setzen um damit sich ergebende Konsequenzen zu erkennen. Doch in Bezug auf das Medienhandeln finde ich, dass gerade ein solches Verhalten des relativierenden Abwägens eher forciert wird, um hiermit bestimmten Ereignissen noch einmal größere mediale Wirksamkeit zu verleihen und diese aus der endlosen Zahl der Schreckensnachrichten zu der einen „Schrecklichen der Schrecklichen“ zu machen.
 


Zum Autor:

Crispin Winter studiert an der Humboldt-Universität Regionalstudien Asien/Afrika im 2. Fachsemester mit einem noch sehr breit gefächerten Interesse und eher schwach ausgeprägten Gefühl für einen bestimmten Schwerpunkt. Er hat ein Jahr lang auf Sumatra gelebt und lernt nun am Institut für Asien- und Afrikawissenschaften weiter Indonesisch.