Humboldt-Universität zu Berlin - Kultur-, Sozial- und Bildungswissenschaftliche Fakultät - Institut für Asien- und Afrikawissenschaften

The Negotiation of Pakistan's History and Identity in Public Discourse. A Historiographic Study, 1947-69

Dissertationsprojekt von Sadia Bajwa (sadia.bajwa[at]asa.hu-berlin.de)

Die auf der Zweinationentheorie basierende "Pakistan-Ideologie" bildet den Schlussstein der offiziell abgesegneten Geschichtsauslegung, die vom pakistanischen Staat in dem Bemühen verbreitet wurde, eine "islamische Identität" zu schaffen. Mit dieser offiziellen Lesart der Geschichte sind territorial und linguistisch definierte Identitäten aus dem Raum des national Legitimen gedrängt worden. Geschichtsbücher zählen zu den zentralen Medien, durch die der Staat versucht, eine nationale Identität zu schaffen. Damit stellen sie eine hervorragende Quelle für das Studium der offiziellen Lesart und Geschichtsdarstellung und somit der kollektiven Identitätsbildung in Pakistan dar. Diese leicht zugänglichen und reichhaltigen Quellen einer offiziellen Geschichtsschreibung haben viele Studien zur Historiografie angeregt.

Der Großteil der grundlegenden Werke, die sich eingehend mit diesem Thema befassen, wie etwa die von K.K. Aziz oder Mubarak Ali, haben sich jedoch mehr der Korrektur von Fakten verschrieben als der kritischen Analyse ideologisch motivierter Idiome, die dem Genre offizieller Geschichtsschreibung zugrunde liegen. Beim Lesen der diversen Studien zur offiziellen Geschichtsschreibung und Identitätenbildung stellt sich die Frage, wie es sich mit dem inoffiziellen Raum verhält. Die offizielle, von Schulbüchern und anderen staatlich gesponsorten Medien verbreitete Geschichte ist nicht aus heißer Luft entstanden. Sie bezieht sich auf einen Diskurs zur muslimischen Identität, dessen Wurzeln in der Zeit vor der Teilung des Subkontinents liegen und der in den neu errichteten territorialen und ideologischen Grenzen des unabhängigen Pakistan neu entdeckt und verhandelt wurde. Es ist genau dieser Diskurs, der dem pakistanischen Staat sein ideologisches Rohmaterial geliefert hat. Gleichzeitig hat er durch seine Gegenerzählungen die staatliche Hegemonie über die historische Wissensproduktion in Frage gestellt.

Diese Arbeit will das dialektische Verhältnis zwischen dem offiziellen staatlichen Identitätsdiskurs und dem gesellschaftlichen, in der Öffentlichkeit geführten Diskurs während der ersten, formativen zwei Jahrzehnte des unabhängigen Pakistan untersuchen. Sie wird sich ebenso der Frage widmen, inwieweit die Gegenerzählungen trotz ihrer abweichenden Tendenzen in die hegemonialen Grundlegungen der Pakistan-Ideologie aufgenommen wurden. Dabei wird diese Arbeit englische und Urdu-Quellen wie Zeitungen, Broschüren und Zeitschriften und – sofern Zeit und Platz es zulassen – auch Filme berücksichtigen. Zentrale Idiome sowohl der Geschichte wie auch der Politik werden in diesem Rahmen identifiziert, um als Ausgangspunkte für eine vergleichende Analyse zu dienen.

Das Dissertationsprojekt wird im Rahmen des Caroline von Humboldt-Programms gefördert.

 

Sadia Bajwa studierte von 2004-09 Geschichte und Politikwissenschaften am Südasieninstitut der Heidelberger Universität. Sie schrieb ihren M.A. zur Genealogie der pakistanischen nationalistischen Historiografie ("The Genealogy of Pakistan's Nationalist Historiography (1857-1947)". Von März bis Juli 2008 arbeitete sie im Independent Bureau for Humanitarian Issues, Sarajevo, Bosnia and Herzegovina (IBHI). Im Juni 2008 war sie als Übersetzerin für Urdu/Englisch beim UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) für Sarajewo, Bosnien und Herzegowina angestellt. Im Januar 2010 nahm sie an dem Forschungsprojekt "In a Land of Ruins: Archaeology, Islam and the Making of Gandhara Art" teil.