Humboldt-Universität zu Berlin - Kultur-, Sozial- und Bildungswissenschaftliche Fakultät - Institut für Asien- und Afrikawissenschaften

Rede anlässlich der Ausstellungseröffnung

 

Lassen Sie mich zunächst denjenigen danken, die am Zustandekommen dieser Ausstellung mitgewirkt haben, denn selbst eine so kleine, zitathafte Ausstellung ist ohne Helfer im Hintergrund nicht machbar: Frank Merten und Harald Schulz, Maximilian Claudius Noack, Noriko Fujimura & Nagisa Kobayashi, Dr. Greiner -Petter für Homepage und den Praktikanten für Verschickung der Einladungen. Besonders auch Herrn Veit Kalinke, Leiter der Sparkasse Guben, denn diese Ausstellung ist quasi eine Folgewirkung seiner Beispiel gebenden Aufgeschlossenheit gegenüber der Kunst, doch dazu später mehr.

Sie sind inzwischen in Dialog getreten mit den für diese kleine Kabinettausstellung ausgewählten Werken. Es ist mir große Freude, Ihnen die Künstlerin vorzustellen, die mit ihrem Leben und ihrem Ouvre hinter diesen Werken steht und die sich sofort auf dieses Projekt eingelassen, in unkomplizierter kooperativer Weise mir die Erfahrung eines konstruktiven Miteinanders geschenkt hat: Herzlich willkommen Sigrid Noack.

In diesem Jahr ist viel vom 20. Jahrestag des Mauerfalls die Rede. Auch unsere Gedenkstätte ist vor einem Monat am 2. Juni in den jetzigen Ausmaßen zwanzig geworden. Das ist ein Grund zum Feiern, denke ich (1984 1. Eröffnung).

 

Bisher haben wir hier japanische Künstler vorgestellt oder Arbeiten unserer Kalligraphiekurs-Teilnehmer gezeigt neben thematischen Sonderausstellungen. Spätestens in diesem Jahr fand ich es angebracht, in dieser zwischen Japan und Deutschland vermittelnden Einrichtung einmal der Frage weiter nachzuspüren, wie schlägt sich denn Japan im Werk deutscher Künstler nieder, im Werk von Künstlern dieser Region, die in der Regel aufgrund ihrer Herkunft und sonstigen Zwängen nie die Gelegenheit hatten, Japan in realita zu erleben, und die sich womöglich gerade deshalb umso intensiver im Geiste und kreativ schaffend damit auseinandergesetzt haben? Welche Früchte trägt die Orientierung am Fremden? Bleibt es ein Zitat, dessen Gültigkeit niemand überprüfen kann, wird es Projektionsfläche, Spiegelung eigener Ziele und Befindlichkeiten oder kann, wie hier gezeigt, aus dieser indirekten aber intensiven Begegnung etwas ganz Neues, Einmaliges entstehen?

Ja, das Haus des großen Übersetzers und Wegbereiters deutscher Kultur in Japan, Mori Ogai, soll ein Ort sein, an dem im weitesten Sinne über Übersetzungsfragen nachgedacht wird, denn auch die Kunst ist ein Prozess immer währender Übersetzung von Vergangenem und Fremdem in einem kreativen Prozess der Aneignung und Verinnerlichung. Wie schafft man es, nicht als Identitätstransvestit aufzutreten, wie bewahrt man Eigenes und ist doch offen für Fremdes, wie verpflanzt man Kultur ohne sie nachzuäffen, das ist eine Frage, mit der schon am Beginn der Modernisierung Japans nicht nur Ogai konfrontiert war, es ist eine Frage, vor der auch wir 20 Jahre nach dem Mauerfall weiter stehen.

Gestatten Sie mir zunächst einige Bemerkungen, warum wir die Eröffnung der Ausstellung „Japan intiutiv“ im Juli sozzusagen „japanologisch intuitiv“ auf den 7. Juli gelegt haben. Wie Sie wissen, ist heute Tanabata, das Fest der Liebenden. Denn nur heute, nur einmal im Jahr treffen sich auf der Milchstraße die Sterne Orihime, die Weberin und Hikoboshi, der Hirte, die getrennt an beide Ufer der Milchstraße verbannt wurden, weil leider ihre Liebe ihren Arbeitsfleiß zu sehr beeinträchtigte.

In China und Taiwan wird dieser Tag begangen wie der Valentinstag, mit Geschenken unter Liebenden. In Japan ist er Anlass für sommerliche Feste, in Sendai findet das größte Straßenfest Japans statt. Man sieht viele Menschen in bunten Kimonos, wie unsere beiden Musikerinnen, Bambuszweige werden (wie in meiner Kindheit zu Weihnachten) mit bunten Girlanden aus Papierkringeln oder mit Streifen, auf denen Wünsche für das Universum geschrieben sind, angehängt – ein Brauch, dem Sie später gern nachkommen können. Wir haben alles dafür vorbereitet - Nicht ohne dabei auf den Widerspruch zwischen Theorie und Praxis der interkulturellen Kommunikation zu stoßen.

Es stellte sich nämlich heraus: man bekommt in Berlin im Sommer nirgendwo, auch über den Großhandel, keine Bambuszweige, nicht nur, weil vor einigen Jahren aller Bambus eingegangen ist. Sommer ist hierzulande nicht die Zeit, Bambus von seinen Wurzeln zu trennen. Dass wir nun doch einige, wenn auch wegen des Transports bei hochsommerlichen Temperaturen etwas erschöpfte Exemplare in der Vase haben, ist einer wochenendlichen Guerillaaktion zu verdanken.

Diese Probleme hat man in Japan nicht, d.h. auf Hokkaido, das unseren Breitengraden entspricht, benutzt man Weidenzweige statt Bambus – aber selbst das wäre bei diesen Temperaturen ein Wagnis. Und nicht nur hier liegt die Tücke im Detail: Durch die Einführung des gregorianischen Kalenders in Japan anstelle des alten Mondkalenders – auch wenn man es nicht sieht, wir haben heute Vollmond, Heumond – haben sich Verschiebungen um etwa einen Monat ergeben: auf Hokkaido feiert man Tanabata am 7. August. Gleichzeitig ist es zu einer Vermischung mit dem O-Bon-Fest gekommen, dem Gedenken an die Verstorbenen – wozu wir im Juni hier einen ausführlichen Vortrag hatten, da jahreszeitliche Zyklen in unserem Institut ein Forschungsschwerpunkt sind. Während man zu Neujahr also den Geistern eine Kiefer anbietet als vorübergehende Niederlassung, so ist es eben am 7.7. der Bambus. Die Wünsche, die sie Ihnen weitergeben wollen, werden über die Zettel mitgeteilt und im Grunde genommen an den Kosmos weitergeleitet, indem man sie nach einigen Tagen in einen Fluß wirft (manche verbrennen es auch). Solche Bräuche sind in Japan inzwischen ein Umweltproblem. Wenn Sie also wollen, dass Ihre Wünsche auch übermittelt werden, dann stellen Sie sich unwissend, wenn womöglich irgendwann in der Zeitung steht: „Bambusstrauch mit Wunschzetteln in der Spree gefunden.“ Und gehen Sie beim Wünschen unverkrampft vor. Meine ehem. jap. Mitarbeiterin hat mir gestern Fotos von ihrem mit bunten Papieren geschmückten Tanabata Strauss geschickt. Darauf stand u.a. der Wunsch ihres 6 jährigen Sohnes: „Ich will ins Schwimmbad“. Ein Wunsch, der bei diesen Temperaturen nur allzu verständlich, aber vielleicht auch ohne göttliche Hilfe realisierbar ist.

Die Werke von Sigrid Noack verlangen eigentlich eine eher kontemplative Ruhe, für die wir ab morgen wieder sorgen werden. Heute aber korrespondieren Tanabata, die Bambuszweige als Landekreuz der Geister und die Bambusflöte von Frau Tomoko Germar gut mit den Gouachen auf Japan-Jalousien, sprich: Bambusrollos. Selbst wenn es durch diese bunte Feststimmung nachher etwas lautstärker zugehen wird.

Und ganz abgesehen davon, gibt es auch gewisse Parallelen zu der Begegnung im Firmament. Es ist ja schon fast wie eine Begegnung der dritten Art, wenn man eine Künstlerin aus Guben (bzw. Dresden) und Japan öffentlich zusammenführen will, ein weiter Miclhstraßenbogen. Ich will es nicht verhehlen, denn schließlich war es ein ganz wesentlicher Anreiz für diese Ausstellung: Guben ist unser gemeinsamer Heimatort. Und da ich von Haus aus kein Kunsttheoretikerin bin, habe ich beschlossen, mich heute als Brandenburger Lokalpatriotin zu outen und wie beim Bambus ein wenig unserer gemeinsamen Verwurzelung und den Wachstumsringen nachzusinnen.

Japaner haben in der Regel noch nie von Guben gehört, es sei denn sie interessieren sich für Leichen-Plastinationen a la Gunter van Hagen. Oder haben durch die Presse davon erfahren, dass die Seen unserer Kindheit in einigen Jahrzehnten einem großen Braunkohletagebau weichen sollen. Lagebeschreibungen zu Guben fallen oft großflächig aus. Meinen jap. Gästen erkläre ich meist: Guben liegt an der polnischen Grenze zwischen Frankfurt/Oder und Dresden, eine Stadt am Grenzfluss Neiße, deren einstiges Herz jetzt in einem anderen Land liegt, aber dank EU in ein paar Minuten zu erreichen ist. Freilich schwer nachvollziehbar für ein Inselvolk. In der Geburtsurkunde von Goethes Freundin, der Hofschauspielerin und ersten Darstellerin seiner „Iphigenie auf Tauris“, Corona Schröter, steht z.B. noch „geboren in Guben bei Warschau“ (auf die wechselnden Zuordnungen zu Sachsen und Preußen will ich hier aber nicht näher eingehen). Und ohne das in Guben gedruckte Kursbuch von König, nach dem auch Ogai reiste, wäre bereits Ende des 19. Jahrhunderts ganz Deutschland bewegungsunfähig gewesen. Dieser Ort hat so manche Persönlichkeit hervorgebracht – oder können Sie sich einen sonntäglichen Gottesdienst ohne die Lieder von Paul Gerhardt denken?

Doch auch Impulse für deutsch-japanische Beziehungen kamen aus diesem Ort. So verfasste der bereits 1869, also 7 Jahre nach der Geburt unseres spiritus loci Ogai, in Guben geborene Komponist Karl Zimmer sogenannte „japanische Operetten und Suiten“. Der Gubener Fleischermeister Otto Hannasky war im I.Weltkrieg im Gefangenlager Bandô auf Shikoku interniert und hat seinen japanischen Kollegen die deutsche Art zu schlachten und vor allem die Zubereitung von Würsten aller Art beigebracht, Produkte, die auch an das Kaiserhaus geliefert wurden.

Auch die Frau des hedonistischen Japanologen, Kunstwissenschaftlers und Übersetzers Fritz Rumpf, dem wir die einst umfangreiche Bibliothek im Japan-Institut des Berliner Schlosses verdanken – zu dessen Wiederaufbau-Plänen morgen im Alten Museum eine große Ausstellung eröffnet wird (mit unseren Originalausgaben von Ogais Faust-Übersetzung) -, stammte aus Guben. Rumpfs Frau Alice Heller, das „Mahlhuhn“, war in Guben als Turn- und Zeichenlehrerin tätig. 1914 ist sie allein nach Japan gereist, um ihren Künftigen, der mit Ogai in Kontakt stand, an sein Eheversprechen zu erinnern. In ihrem Haus in Potsdam, in der Villa Rumpf, gingen Lovis Corinth, Max Liebermann, Max Slevogt und später führende Vertreter des Japonismus, wie Emil Orlik ein und aus – es ist dasselbe, sorgfältig restaurierte Haus, in dem heute (passend zur Fashion week) der Modedesigner Joop mit seiner „Wunderkind“-Collection residiert. Selbstverständlich wurden die berühmten Gubener Tuche und Hüte schon Ende des 19. Jahrhunderts nach Japan exportiert.

Kurzum, so abwegig ist eine Verbindung Guben-Japan also gar nicht. Vor allem haben Gubener die Eigenschaft des, was Wilhelm Raabe im „Stopfkuchen“ das „Gehe aus dem Kasten, Noah!“ genannt hat. Wenn man aus einer Grenz-Kleinstadt kommt, ist man neugierig auf Welt, dann hat man Heimatverbundenheit und Fernweh gleichermaßen mit auf den Weg bekommen, wo man doch nur 30 Schritte gehen muss, um in einem anderen Land zu sein...

Lassen Sie mich noch kurz von einem Erlebnis berichten, dass Auslöser für diese Ausstellung war: Irgendwann im letzten Jahr betrat ich das lichtdurchflutete neue Gebäude der Sparkasse Guben, um nichts als ein wenig Bargeld aus dem Automaten zu suchen, das war mein Sinn. Da schaut mich plötzlich der große Pantomime Marcel Marceau aus einem abstrakten, aus Papierteilen geklebten Gesicht an. Ehe ich mir die Frage stellen konnte, ob ich gerade träume oder in einen falschen Film geraten sei, hatte ich den schnöden Mammom längst vergessen und war wie gebannt von den in Blautönen gehaltenen Arbeiten, die den Gestus des großen Bip (der Name seines alter ego auf der Bühne) auf dem Papier so lebendig und authentisch festhielten, wie ich es aus meiner verschwommenen Erinnerung sofort wieder abrufen konnte. Der Wiedererkennungswert ging unter die Haut, dabei kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen, ob ich Marceau je life auf der Bühne gesehen habe. Er ist ein mit prägnanten Gesten eingeschriebener Teil meines Lebens, so wie eine junge Generation, die Marceau nicht mehr kennt, heute ihren Michael Jackson zu Grabe trägt. Sigrid Noack hat diesen Gestus nicht nur für die Nachwelt bewahrt, sondern ist ihrer großen Liebe, das darf man an Tanabata bekennen, der Pantomime, auch nach Marceaus Tod treu geblieben, hat mit seinen beiden Meisterschülern, Herrn von Bodecker und Herrn Neander, die ich ebenfalls herzlich begrüße, weitere Projekte geschmiedet.

Als wäre das noch nicht genug Dejavu, wies mich damals eine Mitarbeiterin der Saprkasse darauf hin, dass im 2. Stock noch viel mehr zu sehen sei. Was ich dort vorfand, hat mich dann endgültig verblüfft. War ich mit Marceau gerade an einem Ort, wo ich es am allerwenigsten vermutete, einem Stück meiner geistigen Heimat begegnet, dann stand ich plötzlich inmitten der mir so vertrauten Formensprache Japans und traute meinen Augen kaum. Das war alles ganz japanisch – und doch definitiv nicht von einer Japanerin gemalt. Das Zeichenhafte, das zum Bild wird, die stringente Komposition, die Reduzierung der Farbe, die gleichzeitig mit einer Expressivität einhergeht, die Kalligraphien und Bildrollen ähnlichen überlängten Formate, noch dazu mutig- frech auf Faltrollos – das war wirklich eine sehr selbstbewußte, kraftvolle und gekonnte Aneignung Japans... Bitte nehmen Sie sich die Zeit und schauen sich nachher den goldenen Katalog jener Ausstellung „Silence“ an, dann werden Sie im Miniaturformat nachvollziehen können, in welchen Rausch ich geraten war.

Ich wollte doch nur Geld abheben und fühlte mich wie Goldmarie, die unvermutet zweimal mit einem ästhetischen Goldregen von fulminantem Nachhausekommen beschenkt worden ist. Denn meine Sehnsüchte, die mich trieben mit 18 Jahren Guben zu verlassen waren genau diese beiden Bereiche: das Theater und das ferne Japan. Es war als ob ein Kreis sich schließt, man am Ausgangspunkt plötzlich durch doppelte und dreifache Spiegelungen und nach außen transportiert, das Wesen des ein Leben lang Gesuchten komprimierte vor Augen geführt bekommt. Ein Nachhausekommen wie ich es jedem von Ihnen nur wünschen kann.

Der Rest ist schnell erzählt. So klein ist Guben nun auch nicht, dass jeder jeden kennt. Ich nahm mit Sigrid Noack, die ich bis dahin nur dem Namen nach kannte, Kontakt auf und wir verabredeten, im Juli 2009 das Thema Sigrid Noack und Japan hier in Berlin noch einmal aufzugreifen. Inmitten des Ergebnisses befinden Sie sich gerade.

Über ihre Homepage, die auch hier ausgelegten Kataloge und die ausgedruckte Biographie habe ich mir nach und erschlossen, was ich bisher nicht geahnt und versäumt habe und was man in Japan „ Sigrid Noack no sekai – die Welt der Sigrid Noack“ nennen würde. Bitte nutzen auch Sie diese Quellen, um die Grenzen dieses Raumes für sich zu erweitern. Was Sie dort vorfinden ist zu vielfältig, als dass es sich zusammenfassen ließe. Abgesehen davon ist Sigrid Noack historisch und geographisch versiert, ist ein ausgesprochen musikalischer Mensch und durch die stete Nähe zur Literatur wie nur wenige Künstler imstande, ihre Intentionen und Gedanken auch in klare, präzise Worte zu fassen. Lesen Sie, schauen Sie, das Wichtigste liegt schriftlich vor. Wie auch der kleine Text, den sie zu dieser Ausstellung verfasst hat.

Im Katalog Zeitfragmente zitiert sie Johann Joachim Winckelmann (1759), der ebenfalls an unserer Universität verortet ist: 
 

„Denn es ist nicht genug zu sagen, dass etwas schön ist, man muss auch wissen, in welchem Grade und warum es schön sei. Das Schöne besteht in der Mannigfaltigkeit im Einfachen; dieses ist der Stein der Weisen.“

 

Die Initialzündung für SN’s Auseinandersetzung mit der japanischen Kunst kam zeitversetzt von zwei Seiten. Die erste indirekte Berührung fällt bereits in ihre Studienzeit an der Dresdener Kunsthochschule. Ihr Lehrer und späterer Lebenspartner Herbert Kunze hatte sich intensiv mit japanischer Philosophie beschäftigt und das in eine Folge von Tuschmalereien und zeichenhafte Blättern umgesetzt. Dieser Prozess hinterließ auch Spuren in der Beobachterin, die u.a. die Dichte der Kompositionen reizte.

Die erste eigene Umsetzung dessen, was für sie die Essenz japanischer Kunst war, vollzog sich durch die Bekanntschaft mit dem Komponisten und Japan-Stipendiaten Bert Handrick, der mit einer völlig neuen Sicht auf seine Musik aus Japan zurückkehrte, die er in die minimalistischen Kompositionen „Nihon no e / Bilder Japans“ umsetzte. Diese Musik der Stille war Sigrid Noack Anregung für das gleichnamige Künstlerbuch, angelehnt an die Themen Handricks. Die Gestaltung von Künstlerbüchern ist einer ihrer Schaffensbereich: es gibt sie zum Thema „Meditation, Magie Marcel Marceau, Gaunerzinken u.a. Voraussetzung für die „NIhon no e“ war zunächst ein Hineindenken in eine fremde Begrifflichkeit. Was ist z.B. Shinto und was Schrein, wenn ein Teil der Partitur Shinto-Schrein übertitelt ist?

Aus dieser stark japanbezogenen Arbeit erwuchs der Wunsch, sparsamer zu arbeiten. Sie setze sich mit der Ästhetik der japanischen Schrift / Kalligraphie auseinander. Dabei reizte sie besonders die Verbindung von Literatur und bildender Kunst, von lyrischem oder philosophischem Text und kalligraphischem Bild, wie dickes Schwarz und zarte Linien mit geringen Mitteln eine Spannung erzeugen und welche hohe Geistigkeit aus dieser Sparsamkeit erwächst.

Das in der Kalligraphie (als Rolle) übliche überlängte Format birgt für sie bereits eine Spannung in sich. Eine geschlossene Komposition in diesem Format wird zur Andachtstafel, fordert zur geistigen Kontemplation heraus.

Die Vorbildwirkung japanischer Kunst liegt für Sigrid Noack im Spartanischen und in der Reduktion, in der Sensibilität der ihr bekannten Arbeiten. Gleichzeitig findet sie das Figurative und die Klassizität z.B. der Holzschnitte anregend. Doch mehr als alles ist das Zeichenhafte immer wieder Quell der Hinwendung zur Kunst Japans.

Ihre Bildträger korrespondieren bestens mit den jeweiligen Inhalten. Die „Nihon no e“ sind noch auf Naturpapier gemalt. Später bilden unbeschnittene, ausgefranste Washi-artige Blätter oder eben mit Reispapier o.a. bespannte Bambusrollos ein Ganzes, das einhergeht mit einer Reduktion in der Farbigkeit (zarte wie kräftige Farbgebung gleichermaßen) und mit Bild-Zeichen, die in diesem Ensemble Lebendigkeit erhalten, zur expressiven Figur wachsen.

Bambusrollos schaffen durch die schmalen Stäbe so etwas wie einen materiellen Zeittakt, der einen Rhythmus vorgibt, und andererseits wirken sie wie ein räumlich-komprimierendes Korsett, das gleichzeitig durch die füllbaren Zwischenräume Weite und Mehrdimensionalität erzeugt.

Bitte treten Sie in ein Zwiegespräch mit den Bildern, dem gefühlten und geistig angeeigneten Japan und mit der Künstlerin selbst, knüpfen Sie Kontakte - dazu ist dieser Abend da.

Zum Schluss bleibt mir noch, meine Wünsche zu Tanabata zu formulieren, die da z.B. wären: Frau Noack in naher Zukunft mit ihrer Kunst und den beiden Pantomimen nach Japan zu bringen. Und dass die einst blühenden Kontakte zwischen der Präfektur Saitama und dem Land Brandenburg im Zuge des von der japanischen Botschaft geplanten Japan-Jahres 2011 wieder neu belebt werden mit Künstlern wie diesen. Denn schließlich ist der offizielle Anlass für dieses Ereignis der 150. Jahrestag der Unterzeichnung des preußisch-japanischen Handelsvertrages. Ja, ein Programm, das hier in Berlin-Brandenburg auf den historischen Traditionen fußt und in die lebendige Gegenwart hineinreicht, das wäre mein Wunsch.

Doch zunächst bitte ich um Ihre Aufmerksamkeit für japanische Klänge zu Tanabata von Tomoko Germar und Nobuyo Yamada vom Ensemble „ontone“

7.7.2009 Beate Wonde