Humboldt-Universität zu Berlin - Kultur-, Sozial- und Bildungswissenschaftliche Fakultät - Institut für Asien- und Afrikawissenschaften

- / und hackt doch das Feld

Ein Vortrag über Haiku und mangelhafte Übersetzung

Mit der Sonettenwut ist es seit langer Zeit vorbei. Kein Mensch schreibt heutzutage noch Distichen, um Dichter- und andere Künstlerkollegen zu schmähen, keiner mehr launig daherrollende Gossen für die für die Freunde. Höchstens die Volksliedstrophe, seit jeher besonders robust, wird hervorgezogen, um Fest- und Geburtstagsreden den Flair des Erhabenen zu geben. Und wenn die Versfüße dann auch noch munter stolpern - von Väterchen Reim werden sie mit schöner Regelmäßigkeit immer wieder auf ihre Bahn gesetzt.

Nicht ganz korrekt, sagt Ekkehard May von der Goethe-Universität Frankfurt. Arn Montag hielt der Japanloge in der Berliner Mori-Ogai-Gedenkstätte einen Vortrag über die Gedichte dreier Schüler des Haiku-Meisters Basho, der von 1614 bis 1694 lebte und dichtete. May ging es um die Frage, wie weit das Haiku in eine andere Sprache getragen werden kann, wann Übersetzung zur Interpretation wIrd. "Unbeweglich sieht / dieser Bauer aus und gräbt / emsig doch sein Feld", lautet die deutsche Version eines Haiku von Mukai Kyorai. Ekkehard May indes ist mit dieser Übersetzung nicht zufrieden. Wie kann der Bauer unbeweglich, doch emsig zugleich sein? Wie kann er "graben", wennim japanischen Original doch außdrücklich von der japanischen Hacke die Rede ist?

May verweist auf den Kommentar zu diesem Haiku. Japanische Dichter und Wissenschaftler haben seit Jahrhunderten über einzelne Haikus und ihre Verfasser geschrieben. Es muss, so heißt es dort, das immer wieder aufblinkende Blatt der Hacke sein, das der Beobachter wahrnimmt, wenn sich der Bauer - von ferne gesehen - auch sonst kaum zu rühren scheint. " Es sieht nicht so aus / als rühre er sich überhaupt - / und hackt doch sein Feld!", übersetzt May. Schlicht und einfach solle Übersetzung sein sagt er, so fern wie möglich von jedem Nachdichten.

Vor allem die Kürze des Haiku führt zum leichtfertigen Umgang mit seiner Übersetzung. Genaue Text- und Sprachanalyse muss ihr desswegen immer vorausgehen. "Über die Blätter / der Gräser eilt fröhlich, ihr / Perlen von Tau", übersetzt May eines der Haiku von Hattori Ransetsu. "Tropfen Morgentaus, / rolle von dem einen Halm / auf den andern Halm!", heißt es in einer anderen Übertragung: Die Wiederholung stört. In einer englischen Übertragung wird ein Endreim eingeführt, ein anderer Übersetzer vergisst den Imperativ. Wieder ein anderer schafft einen Zweizeiler.

Fehlübersetzungen festigen das schiefe Bild, das der Westen vom Haiku hat. Haikus, so betont May immer wieder, sind nicht Natur-, sondern Jahreszeitengedichte. In ihnen ist vom Reißen des Seidenstoffe in den Kleidergeschäften im Frühsommer genauso die Rede wie vom Wind, der durch die Blätter des Buches weht. Haikus sind auch nicht unbedingt Ergebnis spontanen Dichtens - dafür sind viel zu viele Diskussionen von Haiku-Meistern mit ihren Schülern um einzelne Zeilen und deren Stellenwert überliefert. Sie sind, so May, auch nicht geheimnisumwoben, sondern vielmehr lakonische, manchmal ambivalente, selten rätselhafte Dichtung.

So reihen sich die Missverständnisse. Deutsche Klassikerverlage, kritisiert May, adeln indes Fehlübersetzungen durch unkritische Herausgabe. Dass Gedichte verschiedener Jahrhunderte oft unterschiedslos vermengt werden, zählt zu den geringeren Übeln. Am Ende also doch Japanisch lernen? Für den Anfang dürfte es genügen, das dichte Netz, das Kommentatoren und Übersetzer um einzelne Haikus geknüpft haben, zu begehen. Übersetzen bleibt ein komplexer Vorgang. Und das Verwerten einer genuin japanischen Form durch deutsche Haiku-Dichter - mit deutschen Motiven und Stilmitteln - ein wenig fragwürdig. "Ich will diesen Leuten die Haikus nicht madig machen", sagt May lächelnd, "aber im Prinzip finde ich es furchtbar."
CHRISTIANE TEWINKEL