Humboldt-Universität zu Berlin - Kultur-, Sozial- und Bildungswissenschaftliche Fakultät - Institut für Asien- und Afrikawissenschaften

[SELBSTREFLEKTIERENDES KURZESSAY]

Devrim Eren

 

Freitagabend, kurz vor 23 Uhr. Ich setze mich mit einer warmen Tasse Tee an meinen Laptop, um meiner pakistanischen Freundin über Facebook die Fotos von unserem gemeinsamen Treffen vom Tag zuvor zu schicken. Auf meinem Profil angelangt, werde ich regelrecht von unzähligen Meldungen zu den Attentaten in Paris erfasst. Unfassbar erschrocken versuche ich mit ersten Meldungen mein „Information Gap“ zu ‚füllen’. Von islamistischem Terror durch den Islamischen Staat wird berichtet. Ich breche abrupt mein ursprüngliches Anliegen ab und kontaktiere umgehend meinen französischen Bekannten aus Paris, um mich nach seiner Situation zu erkundigen. Große Erleichterung: Ihm geht es soweit gut. Dennoch fühle ich mich wie in Trance: Vor einigen Jahren war ich selbst in Paris und verliebte mich auf Anhieb in diese wundervolle Stadt und die Pariser Kultur: Im Café sitzend, mit einem Buch in der Hand und den Diskussionen der Pariser lebhaft folgend - so habe ich Paris in Erinnerung behalten. Erste Solidaritätsbekundungen finden parallel in sozialen Netzwerken und diversen Online-Portalen verschiedener Zeitungen statt. Von „Je suis Paris“ oder „Nous sommes unis“ ist die Rede, ein „Krieg gegen die westliche Zivilisation“ würde geführt werden.

 

Mit diesen Statements kann ich mich aber nicht wirklich identifizieren. Bilder von Pegida und vom Medienhype um Charlie Hebdo erscheinen mir vor die Augen. Meine Befürchtungen sind neben erneuten Attentaten ein erneutes „Islam-Bashing“ und die mittlerweile allseits berüchtigte Verunglimpfung von Flüchtlingen, die gerade eben dem Horror entkommen sind. Andererseits denke ich auch gleichzeitig an die anderen Opfer des Islamischen Staates. An die Attentate von Beirut und Bagdad Tage zuvor. An die unzähligen gekreuzigten Christen in Kessab und Aleppo, ermordet durch den Islamischen Staat und so genannte ‚moderate Rebellen’. An die geköpften und massakrierten Alawiten in Idleb und Lattakia. An die verdursteten und vergewaltigten Yeziden/Innen in Shingal. An die Opfer im Jemen, die durch Saudi-Arabien - einem unserer engsten Verbündeten und zugleich im UN- Menschenrechtsrat sitzend (ziemlich perfide und paradox), tagtäglich bombardiert werden. Wieso wurden bzw. werden diese Verbrechen nicht dermaßen verurteilt? Wo blieb hier der Aufschrei in der Politik, den Massenmedien etc. und die Verteidigung sog. ‚westlicher Werte’?

 

Überfordert von all diesen Gedanken, schalte ich den Laptop aus und wende mich meinen Hindi-Aufgaben zu.

 

Am Wochenende werden meine Befürchtungen teilweise Realität, vor allem in den sozialen Netzwerken. Doch glücklicherweise sind viele muslimische und jüdische Freunde ganz anderer Meinung. Mit vielen unterhalte ich mich am Telefon oder über den Chat. Sie zeigen sich nicht nur mit den Pariser Opfern solidarisch, sondern auch mit jenen im Nahen Osten. Einerseits bin ich erleichtert, andererseits betrachte ich dieses Medienereignis mit Kritik. Eine einseitige Solidaritätsbekundung, unzählige Drapeau Tricolore, die den IS-Terror sowieso nicht bekämpfen werden, und kuriose Forderungen à la Distanzierung der Muslime von solch barbarischen Terrorakten (Wo blieben diese nochmals in Utøya und Chapel Hill?) und Grenzschließungen der EU (als Träger des Friedensnobelpreises?) gegenüber genau jenen Opfern, die dem Terror des IS gerade entkommen sind. Mein Medienkonsum wurde aber, so bizarr es auch erscheinen mag, durch die Anschläge in Paris nicht dermaßen beeinflusst und blieb über die letzten Tage relativ konstant. Vielmehr empfinde ich diese ‚Panikmache’ in der medialen Berichterstattung als geschmackslos und penetrant. Deshalb entschließe ich mich, von den Nachrichten eine Auszeit zu nehmen, um mich alltäglichen Aktivitäten zu widmen. Dies ist aber nicht ein Entschluss, den ich aus Desinteresse fälle, sondern vielmehr aufgrund der inneren Ambivalenz, die für meine Person bei solch singulären Medienereignissen charakteristisch ist. Darüber hinaus, sind solch negativen Ereignisse mittlerweile für mich Normalität geworden. Dabei spielt neben meinem persönlichen Familienhintergrund, meiner politischen Arbeit in Vereinen und Initiativen, meinem Freundeskreis auch die gegenwärtige Berichterstattung eine wichtige Rolle für diese Wahrnehmung. Positive Berichte aus Krisengebieten faszinieren mich momentan um ein Vielfaches mehr, da sie für mich - in einer eher kriegsdominierten Berichterstattung - zur Rarität geworden sind.

 

Mit Hinblick auf die gegenwärtige Situation, bekunde ich den Angehörigen aller Opfer, ob nun in Paris, Beirut, Bagdad, Jemen oder Syrien, meine größte Anteilnahme. Mein Mitgefühl war nie geteilt oder einseitig, sondern gilt immer allen Individuen, die von Krieg und Terror heimgesucht werden. Pauschalisierungen, Distanzierungsforderungen und verbale Attacken gegen Muslime und Flüchtlinge sind verantwortungslos und dienen den Zielen des IS-Terrors. In diesen schwierigen Zeiten hilft nur der friedliche Dialog.

 

An dieser Stelle sei aber auch angemerkt, dass der Terror, der Paris am Freitag aufgesucht hat, ein und derselbe ist, der seit 2003 im Irak und seit 2011 in Syrien präsent ist und wütet. Leider wurde und wird dieser Terror von westlichen Staaten, insbesondere auch von Frankreich, systematisch finanziert. Dass die „Freiheitskämpfer“ nicht mit guten Intentionen nach Frankreich zurückkehren würden, hätte der französischen Regierung und den Sicherheitsbehörden bewusst sein müssen. Leider sind Unschuldige dieser widerwärtigen Außenpolitik erneut zum Opfer gefallen. Obwohl die Hauptverantwortung bei jenen liegt, die den radikalen Wahabismus bzw. Salafismus mit Waffen beliefern, findet sich dieses menschenverachtende Gedankengut auch in unzähligen Büchern und Köpfen von Muslimen wieder. Die Schuld lediglich auf den „Westen“ oder auf die „Muslime“ zu verlagern, ist ebenfalls keine Alternative.

 

Vielmehr ist es mehr denn je notwendig, einen Blick auf die Innenpolitik der EU-Staaten zu richten. Sieben der acht Attentäter wurden immerhin in Frankreich und Belgien sozialisiert. Wie ist es aber möglich, dass sich diese zu mutmaßlichen Terroristen entwickeln konnten? Wie können sowohl Muslime als auch Nicht-Muslime gleichermaßen gegen diese Radikalisierung agieren? Fragen, denen es derzeitig an qualitativen Antworten mangelt.

 


Zur Autorin:

Devrim Eren studiert im fünften Bachelorsemester an der Humboldt-Universität zu Berlin die Fächerkombination Bibliotheks- und Informationswissenschaft sowie Regionalstudien Asien/Afrika. Schwerpunktmäßig absolviert sie im Zweitfach Sprachmodule in Hindi und befasse sich generell mit Themeninhalten zu den Regionen Südasien und Nahost.