Humboldt-Universität zu Berlin - Kultur-, Sozial- und Bildungswissenschaftliche Fakultät - Institut für Asien- und Afrikawissenschaften

"Gutes ist am besten gleich getan"

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Zen wa isoge 

Gutes ist am besten gleich getan


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Kyaku to shirasagi wa tatta ga migoto 

Gäste und Reiher sind am schönsten,
wenn sie sich erheben


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Saru mo ki kara ochiru 

Auch ein Affe fällt mal vom Baum


Gutes ist am besten gleich getan:
100 Sprichwörter aus Japan

Berlin: edition q, 1992
Copyright für die Kalligraphien: Suikô Shimon


Die Sprache eines einzigen Pinsels

Die Sprache eines einzigen Pinsels 

Ich kann mich noch gut erinnern, wie Prof. Berndt mich kurz nach der Wende fragte, ob ich nicht jemanden kenne, der ein guter Kalligraph sei. Er hatte die Idee, ein Buch mit japanischen Sprichwörtern herauszugeben, das zu gleichen Teilen aus Übersetzung und Bild bestehen sollte. Ich antwortete spontan: "Einen nicht, aber eine!"

S. Shimon: Ja, wir hatten uns kurz vorher kennengelernt und bereits vereinbart, in der Mori-Ôgai-Gedenkstätte Kalligraphie-Kurse für Studenten anzubieten.

Wie ging es dann weiter?

S. Shimon: Beim ersten Treffen war die Übersetzung noch nicht fertig, etwas mehr als die Hälfte. Wir haben uns ein paarmal getroffen und die weitere Auswahl gemeinsam beraten. Gleichzeitig kümmerte sich Prof. Berndt um einen Verlag und die nötigen Finanzen. Am Ende hatten wir 112 oder mehr Sprichwörter und es mußte wieder reduziert werden. Auch die Reihenfolge für das Buch festzulegen, war nicht ganz einfach.

Wann begann Ihre eigentliche Arbeit?

S. Shimon: Als die Auswahl feststand. Japanische Sprichwörter sind tatsächlich als Sammlung allein in deutschen Drucktypen nicht so interessant, es fehlt ein ganz wesentliches Element. Auch hatte Prof. Berndt von vornherein keine wissenschaftliche Sammlung vor Augen, sondern ein schönes Bändchen, das zeitlos ist und den Betrachter unabhängig von Alter und sozialer Stellung fasziniert. Ich wollte auch, daß die Sprichwörter eine sinnliche Komponente bekommen, daß sie über die Hieroglyphen, die ja Bilder sind, erfaßt werden können. Vor allem in ihrem hintergründigen Humor. Diese Seite hat er mir überlassen, er war für die Schönheit und Prägnanz der Sprache zuständig.

Und doch sind Ihre Kalligraphien nicht das, was man traditionell unter Pinselschriften versteht.

S. Shimon: Ich habe sehr wohl mit dem Pinsel geschrieben. Alle Kalligraphien sind sogar mit einem einzigen Pinsel gefertigt. Aber Sie haben recht, ich wollte mit meiner Kunst die humorvolle Realität dieser Volksweisheit übermitteln. Auch Deutsche, die des Japanischen nicht mächtig sind, sollten auf den ersten Blick die innere künstlerische Energie und z.T. auch den schwarzen Humor sinnlich erfassen und spüren können.

Traditionell kennt man doch entweder Pinselschrift oder Tuschmalereien. Ihre Bilderschriften wirken wie eine individuelle Kreation.

S. Shimon: In den traditionellen Zen-ga (Meditationsbildern) haben wir minimalistischen Text als Pinselschrift, bei den Haiku stehen oft Kalligraphien und Tuschmalerei nebeneinander. Die Idee, Kalligraphien als Bild oder Bilder aus Schrift zu schaffen, kam mir hier in Deutschland während meiner Tätigkeit an der Hochschule der Künste. Die Distanz zu Japan durch die Realität der andern Kultur in Form des Berliner Alltags, ließ mich nach eigenen, ungeahnten Wegen suchen. In Japan habe ich an der Saga-Schule in Kyoto traditionelle Kalligraphie erlernt, hier in diesem multikulturellen Berlin habe ich die Freiheit gefunden, meinen eigenen Ausdruck zu suchen. Natürlich würde ich heute, nach über zehn Jahren wieder ganz anders malen...

Für den Betrachter wirken diese Pinsel-Schrift-Bilder spielerisch-leicht, scheinbar mühelos.

S. Shimon: Ja, auf den ersten Blick wirkt das so, aber wenn man genau hinsieht, haben all diese Bilder eine Rückseite, in der eine Tiefe verborgen ist, die sich einem erst bei näherer Betrachtung erschließt.

Handelt es sich hier um einen Dialog zwischen Text und Bild?

S. Shimon: Meine Entwürfe illustrieren nicht, sie vertiefen den Text, kommunizieren mit ihm. Manchmal entsteht in einem Bild ein Bogen von einem verspielten Kind bis zum ernsten Gesicht eines Erwachsenen. Oder hier, sieht das Zeichen für "Hundert" nicht aus wie ein Lastenträger in vormoderner Zeit? Manchmal beginnt die Schrift ganz leicht und wird dann plötzlich gekrümmt, verläßt ihren scheinbar vorbestimmten geraden Pfad. Oder sehen Sie diesen langen, langen Strich in "Begegnung ist aller Trennung Anfang". Man sieht hier regelrecht den über Jahre andauernden gemeinsamen Weg und genauso lange wird es dauern, bis die Trennung verwunden ist. Ein einziger Pinselstrich kann soviel bedeuten...
Schwierig war es bei "Wer einen kühlen Kopf und warme Füße hat, lebt lang" den Kopf in das Zeichen für Fuß zu bekommen. Die eher bildhaften Tuschmalereien waren vergleichsweise weniger qualvoll. "Die Finsternis des Geistes" dagegen war eine schwere Geburt.

Wie lange haben Sie an den Entwürfen gearbeitet?

S. Shimon: Ungefähr ein Jahr. Zwischenzeitlich bin ich für drei Wochen nach Japan zurückgekehrt, habe meinen Berliner Alltag mit Familie hinter mir gelassen, in der Stille eines Tempels meditiert und dann fünf Tage und Nächte wie besessen gearbeitet. Danach lagen die meisen vor. Den Rest habe ich in Berlin fertiggestellt.

Wieviele Entwürfe waren denn jeweils notwendig?

S. Shimon: Ganz unterschiedlich. Mal klappte es beim ersten Wurf. Wenn nicht, dann habe ich immer wieder angefangen

Woher wissen Sie, welches am Ende das richtige, ultimative Pinsel-Schrift-Bild ist?

S. Shimon: Das weiß man einfach. Arbeit und Herz und Atem müssen eins sein. Bei mißungenen Versuchen sieht man sofort, dass das Herz nicht dabei war. Manchmal verändert auch der rote japanische Namensstempel ein Bild radikal. Mal ist er der i-Punkt und ein andermal entstellt er es.

Das heißt, es existieren nicht 100 sondern nahezu 300 Kalligraphien. Was ist aus den anderen geworden?

S. Shimon: Das halte ich wie die japanischen traditionellen Keramikkünstler. Sie schaffen manchmal hunderte von Gefäßen, um eins zu behalten. Der Rest wird Scherbe oder geht, wie bei mir, im Feuer auf.
Die Fragen stellte Beate Wonde