Humboldt-Universität zu Berlin - Kultur-, Sozial- und Bildungswissenschaftliche Fakultät - Institut für Asien- und Afrikawissenschaften

Dankrede von Jürgen Berndt anläßlich der Verleihung des Noma-Übersetzerpreises

 

»Der Schriftsteller ist ein Scherz der Natur« - um ein Wort meines leider allzu früh verstorbenen Freundes Kaikô Takeshi zu gebrauchen. Aber was ist dann ein Übersetzer? Ein Scherz der Natur im Quadrat oder gar im Kubik? Ich weiß es nicht. Nur soviel weiß ich, daß der Übersetzer ein armer, geplagter Mensch ist, der schier Unerträgliches ertragen muß und obendrein eigentlich nur ein Schattendasein führt. Meist sitzt er allein vor seinem Schreibtisch, ringt mit dem Text, den er zu übersetzen hat, und ringt mit dem neuen Text, der daraus entstehen soll. Die Tage sind qualvoll, qualvoller oft noch die Nächte. Von all dem ahnt der Leser später nichts, und ahnte er etwas davon, dann spricht das nicht für die Qualität der Übersetzung. So bleibt denn der Übersetzer meist außerhalb des Bewußtseins des Lesers. Aber gefällt eben diesem Leser etwas nicht an dem übersetzten Text, dann fällt ihm plötzlich der Übersetzer ein, und er macht ihn unter Umständen auch für Mängel verantwortlich, die er, der Übersetzer, eigentlich gar nicht zu verantworten hat. Oder doch?

Jedenfalls, der Übersetzer ist ein armer, geplagter und einsamer Mensch. Und wenn er nun einmal aus seinem Schattendasein herausgeholt und für Augenblicke ins internationale Rampenlicht gerückt wird, weil ihm ein weltweit anerkannter und weltweit aktiver Verlag wie Kodansha seinen renommierten Übersetzerpreis zugesprochen hat und ihm damit bestätigt, daß alle Mühen von fast vierzig Lebensjahren doch nicht ganz umsonst waren, dann schaut er im ersten Moment ein wenig ungläubig und sogar betroffen drein, und es fehlen ihm die Worte, die dieser Situation nach Sitte und Brauch angemessen wären. Er verzichtet deshalb lieber gleich auf all die Floskeln, die sonst wohl üblich sind, auch wenn man ihn für einen ungebildeten Barbaren hält, und sagt ganz schlicht: Er freut sich und dankt allen, denen er diese Ehrung zu verdanken hat.

Vor mehr als 600 Jahren schrieb Kenkô in seinem »Tsurezuregusa« in Anlehnung an den weisen Chinesen Zhuangzi: »Je länger das Leben, desto größer die Schande.« In vielem hat der liebenswerte Verfasser des »Tsurezuregusa« sicherlich recht, auch noch aus unserer heutigen Sicht, aber hier irrte er vielleicht.

Hefte für Ostasiatische Literatur 16 (1994), 134