Humboldt-Universität zu Berlin - Kultur-, Sozial- und Bildungswissenschaftliche Fakultät - Institut für Asien- und Afrikawissenschaften

Literarischer Foto-Spaziergang

 

...Was ich erzähle, trug sich zu, als ich dem sächsischen Armeecorps zugeteilt war und an den Herbstmanövern teilnahm. Wir befanden uns in der Nähe des Dorfes Ragewitz...

..."Das da drüben ist die Familie des mir gut bekannten Grafen Bülow, des Herrn von Schloß Döben .Unser Stab wird auch heute abend in seinem Schloß Quartier nehmen, so daß auch sie Gelegenheit haben werden, die Familie kennenzulernen"...
 

doeben_alterStich.jpg
 

...Während diese Worte zwischen ihnen gewechselt wurden, waren wir vor dem Schloß Döben angelangt. Ein langer weißer Sandweg, an dessen beiden Seiten ein die Beete einfassender niedriger Metallzaun verlief, führte zu einem alten Steintor. Wir ritten hindurch und gelangten zu einem weißgetünchten Gebäude mit einem Ziegeldach inmitten blühender weißer Eibischbäume.
Foto : Pyramide_StichAuf der Südseite erhob sich ein hoher Steinturm, der einer ägyptischen Pyramide nachgebildet schien. Geführt von einem livrierten Diener, der uns auf die Nachricht hin, daß wir heute hier übernachten würden, entgegengekommen war, stiegen wir die weiße Steintreppe hinauf. Die durch die Bäume im Garten dringende Abendsonne beleuchtete feuerrot die auf beiden Seiten der Treppe kauernden Sphinxen Ich betrat zum ersten Mal das Schloß einer deutschen Adelsfamilie. Wie würde es drinnen aussehen? Und als was für ein Mensch würde sich die schöne Reiterin herausstellen, die ich vorhin aus der Ferne gesehen hatte? All dies waren Rätsel, die ich wohl nicht vollständig würde lösen können.

Wir kamen durch mehrere Räume, auf deren Wänden und gewölbten Decken allerlei Dämonen und Ungeheuer gemalt waren und deren Säulen mit in Stein gehauenen Tierköpfen geschmückt waren. Hier und da standen Truhen und Schilde und Waffen aus alter Zeit waren an den Wänden aufgehängt...
 

Foto : Machern_Decke
 

...Ich und Mehlheim bekamen ein nach Osten gewandtes Zimmer. Die Wasser der Mulde umspülten die Grundmauern des Schlosses direkt unter unserem Fenster.
Foto : Doeben_WasserDas Grün der Grasbänke auf dem gegenüberliegenden Ufer war noch nicht verblaßt. In den Eichen, die weiter entfernt standen, hing der Abendnebel. Der Fluß bog rechter Hand ab, und auf dem diesseitigen Ufer, das wie eine Landzunge hervorstieß, standen drei oder zwei Bauernhäuser und ein schwarzes Mühlrad zeichnete sich gegen den Himmel ab...

... Als ich nach einer Weile wieder hinsah, hatte die Reiterin, die ich für Ida gehalten hatte, den Kopf einer Sphinx. Die pupillenlosen Augen waren halb geöffnet. Und was ich als Pferd angesehen hatte, war der Löwenleib, die Vorderpfoten brav nebeneinander gelegt. Auf dem Kopf der Sphinx saß ein Papagei, sah mich an und lachte häßlich....

...Die bereits sehr zutrauliche jüngste Schwester kam an die Kutsche gelaufen: "Meine Schwestern spielen Croquet. Machen Sie doch auch mit"...Ich ging mit der jüngsten Tochter zum Garten am Fuß der Pyramide.Die Schwestern waren gerade mitten im Spiel. In den Rasen waren hier und da eiserne Bögen gesteckt. Die Spielerinnen hielten die bunten Bälle mit der Schuhspitze fest, um sie dann mit einem kleinen Schläger unter den Bögen hindurchzuschicken. Die gewandten Spielerinnen verfehlten kaum einen Schlag, aber die ungeschickten stampften ärgerlich mit den Füßen auf, wenn sie daneben schlugen. Ich schnallte meinen Säbel ab und mischte mich unter die Spielerinnen, aber so oft ich es auch versuchte, der Ball flog enttäuschenderweise immer in völlig verkehrte Richtung. Gerade als die Mädchen alle zusammen lachten, kam Ida mit Mehlheim. Sie hatte sich bei ihm eingehakt, aber ihre Fingerspitzen berührten kaum seinen Ellenbogen. Ihr Verhältnis schien nicht allzu vertraulich zu sein...

..."Wo sind Sie mit Ida gewesen?" "Wir sind bis zu dem Felsen mit der schönen Aussicht gegangen, aber sie reicht nicht an den Blick von unserer Pyramide heran. Herr Kobayashi muß morgen mit seiner Kompanie nach Mutzschen aufbrechen; kann nicht eine von euch ihn oben auf die Pyramide führen und ihm zeigen, wie jenseits der Mühle der Qualm der Eisenbahn zu sehen ist?"...

...Auf der Gartenseite des Turmes Foto : Ritterburgführte eine in den Stein gehauene Treppe zur abgeflachten Pyramidenspitze hinauf. Wer auf der Treppe hinauf- oder hinabstieg oder oben stand, war somit von unten deutlich zu sehen, weshalb es nicht weiter verwunderlich war, daß Ida so ohne weitere Umstände anbot, mich zu führen. Sie ging eilig zum Aufgang der Pyramide und wandte sich dort zu mir um. Ich holte sie ein und stieg vor ihr die Stufen hinauf. Sie folgte direkt hinter mir, da ihr aber offensichtlich das Steigen schwerfiel, machte sie unterwegs mehrere Pausen. Als wir endlich oben angekommen waren, fanden wir die Plattform überraschend geräumig. Sie war von einem niedrigen eisernen Geländer eingefaßt, und in der Mitte war ein großer Steinblock eingelassen.

Nun stand ich oben auf diesem Turm, die Alltagswelt weit unter mir, und jenem Mädchen gegenüber, das ich gestern von dem Hügel bei Ragewitz aus zum ersten Mal gesehen, zu dem ich mich seltsam hingezogen gefühlt hatte und die ich - weder aus gemeiner Neugier noch aus sinnlicher Begierde - im Traume gesehen und über die ich im Wachen nachgedacht hatte. Wie schön auch die von hier aus zu überblickende sächsische Ebene sein mochte, sie war nicht zu vergleichen mit dem Herzen dieses Mädchens, in dem es, so schien mir, dunkle Wälder und tiefe Abgründe gab...

Die vollständige Novelle finden Sie in: "Im Umbau", Insel-Verlag 1989, aus dem japanischen Übertragen von Wolfgang Schamoni, ISBN 3-458-16015-9 oder ISBN 3-458-16627-0

Manuskript und Gestaltung der Ausstellung: Beate Weber
Fotos: P. Kayenberg, Brandis