Humboldt-Universität zu Berlin - Kultur-, Sozial- und Bildungswissenschaftliche Fakultät - Institut für Asien- und Afrikawissenschaften

Das Forschungsprojekt

 

Der "Schwarze Januar" in Aserbaidschan - Geschichte und Erinnerung

Das Forschungsprojekt "Der Schwarze Januar" - Geschichte und Erinnerung

Das Projekt läuft seit Frühjahr 2002 und gehört in den Projektbereich "Erinnerungen an Zentralasien". Im Herbst 2002 unternahm Dr. Rasim Mirzayev, damals Forschungsstipendiat am Zentralasien-Seminar, eine einmonatige Forschungsreise nach Aserbaidschan, in deren Rahmen er Archiv-, Bibliotheks- und vor allem Feldforschungen zur mündlichen Geschichte durchführte. Das Projekt kreist um den 20. Januar 1990, ein Schlüsseldatum für die Entwicklungen, die letztlich zum Zerfall der Sowjetunion geführt haben: Zeitzeugen berichten, was sie an diesem Tag und in seinem Umfeld erlebt haben. Rasim Mirzayev interviewte ehemalige Bürgerrechtskämpfer, Politiker (hochrangige Funktionäre der KP, also der damaligen Regierungspartei, ebenso wie Mitglieder der oppositionellen Volksfront), Angehörige von Opfern des 20. Januar, Passanten, Notärzte, Hausfrauen, Journalisten - insgesamt eine Gruppe von 46 Männern und Frauen, die bereit waren, ihre Erinnerungen und Interpretationen der Forschung zur Verfügung zu stellen, darunter auch einen ehemaligen hochrangigen Geheimdienstfunktionär. Ziel der Projektarbeit ist die Veröffentlichung einer Studie zum Umbruch in Aserbaidschan auf der Grundlage von Archivmaterial sowie Dokumentationen und Pressematerialien aus der Zeit samt den oral history-Texten der Interviews in deutscher Übersetzung.

 

Hintergründe der Entwicklungen um den "Schwarzen Januar"

 

Der Prozess von Auflösung und Zerfall der Sowjetunion gewann seine größte Sichtbarkeit durch die sezessionistische Bewegung um Berg-Karabagh. Als diese Bewegung Anfang 1988 in der Abspaltung der Autonomen Republik von Aserbaidschan und der Eingliederung in die Republik Armenien gipfelte, hatte Moskau die Kontrolle über die Randrepubliken schon teilweise verloren. Am 15. Januar 1990 verfügte Michail Gorbatschov den Ausnahmezustand für einige Bezirke Aserbaidschans rund um Berg-Karabagh; ab 16. Januar wurden Truppen rund um Baku zusammengezogen. 
Die Präsenz von Spezialeinheiten des Innenministeriums der UdSSR - bis zu 11.000 Personen stark - und die Anwesenheit von Truppenteilen der Roten Armee in ständigen Kasernen an verschiedenen Orten Aserbaidschans war nichts Ungewohntes. Unter den neuen Bedingungen verursachten die Truppenzusammenziehungen allerdings Aufruhr in der Bevölkerung; die Menschen fingen an, an den Einfallsstraßen nach Baku sowie vor den Kasernen im Stadtgebiet Straßensperren und Barrikaden zu errichten, um einen vermuteten Einmarsch der Roten Armee zu verhindern. Die Sperren wurden etwa eine Woche lang Tag und Nacht bewacht. Inzwischen verkündeten die obersten Vertreter der aserbaidschanischen Regierung und auch Vertraute von M. Gorbatschov, es würde keinen Ausnahmezustand in Baku und keinen Einmarsch der Roten Armee geben. Zugleich wurden mehr und mehr Spezialeinheiten um Baku zusammengezogen...Am 19. Januar wurde um 20:30 plötzlich die Radio- und Fernsehstation gesprengt - durch eine Einheit des KGB, wie sich später herausstellen sollte. Die Desinformation steigerte die Empörung der Leute noch mehr; Chaos brach in der Stadt aus. Ab Mitternacht galt nach einem Ukas von Michail Gorbatschov der Ausnahmezustand in Baku; schon ab 22 Uhr begannen die Truppen anzugreifen, die Armee stürmte von allen Seiten mit Panzern und schwerer Bewaffnung in die Stadt, sogar Marinetruppen drangen vom Kaspischen Meer her ein. Ihnen gegenüber standen unbewaffnete Bürger... 
Hunderte Menschen verloren in dieser Nacht ihr Leben unter den Schüssen von Soldaten und Scharfschützen, Dutzende gerieten unter die einrollenden Panzer, Tausende wurden schwer verletzt. Ein großer Teil der Opfer waren in das politische Geschehen überhaupt nicht involviert gewesen, sie waren Passanten, Arbeiter, Menschen auf der Straße vor ihren Haustüren, Kinder. Am nächsten Morgen bot die Stadt ein Bild des Grauens und der Verwüstung. 
Am Morgen des 20. Januar sammelten sich Zehntausende Bürger vor dem Präsidentenpalast. Während der großen Kundgebung verbrannten unzählige Kommunisten ihre Parteibücher. Am 23. Januar nahm mehr als eine Million azerbaidschanischer Bürger an den Trauerkundgebungen teil; 40 Trauertage lang lähmte ein Generalstreik das Land. Streik und Ausnahmezustand bestimmten ein Jahr lang das Leben in Aserbaidschan.

schwarzerjan.jpg
 
Foto: Azer TAC