Humboldt-Universität zu Berlin - Kultur-, Sozial- und Bildungswissenschaftliche Fakultät - Institut für Asien- und Afrikawissenschaften

Mori Mari und ihre literarischen Alter Egos

Vortrag von Anne Dastig-Balland, Berlin, am 9. März 2023
Mori Mari
Mori Mari

 

Die Schriftstellerin Mori Mari (1903–1987) ist bekannt als Mori Ōgais verwöhnte Tochter und als Autorin der Trilogie Koibitotachi no mori (Der Wald der Liebenden, 1961), Boku wa nichiyōbi ni wa ikanai (Ich werde am Sonntag nicht hingehen, 1961) und Kareha no nedoko (Die Liege aus trockenem Laub, 1962). Mari hatte außerdem den Ruf, eine Exzentrikerin zu sein.

In diesem Vortrag wird die Art und Weise thematisiert, wie Mari ihre eigene Person in Texten unterschiedlicher Gattungen trotz einer gewissen Ambivalenz durchscheinen ließ, und sie so über den Weg des Selbstzeugnisses und der Vorstellungskraft originelle Literatur schuf.

Maris frühes fiktionales Werk, beispielsweise der Roman Kioku no shomotsu (Das Buch der Erinnerung), in dem sie die Zeit ihrer ersten Ehe in fiktionalisierter Form erzählt, erinnert mit seinen autobiogra-phisch inspirierten Figuren an einen shishōsetsu. Später inszenierte Mari in einer Serie essayistischer Texte mit humoristischem Grundton die alleinstehende Frau Mure Maria, die auf bewusst ästhetische Weise durchs Leben stolpert und deren Alltag dem ihrer Erschafferin ähnelt. In dem Roman Amai mitsu no heya (Die Kammer des süßen Honigs, 1975) porträtiert Mari mit der Protagonistin Moira ein narzisstisches Mädchen (shōjo). Der Roman handelt von der engen Beziehung zwischen einem Vater und seiner Tochter, von der vielfach angenommen wurde, sie entspräche der Beziehung zwischen Mari und Ōgai. Auch als Nebenfigur Yuria in dem Roman Botchicheri no tobira (Botticellis Tür, 1961) hat Mari einen Auftritt.

Zusammen betrachtet geben Maris auffällig offenherzig, aber zugleich distanziert porträtierte Alter Egos einen Einblick in ihre Persönlichkeit und in die Bedingungen der Entstehung eines Werkes, in dem Realität und Fiktion Hand in Hand gehen. Über Maris Alter Egos ist es auch möglich, sich zentralen Konzepten ihres Werkes, wie etwa der „Luxusarmut“ (zeitaku binbō) oder dem „Teuflischen“ (akuma), zu nähern.

 

Es handelt sich um einen Beitrag zur Veranstaltungsreihe "Mori Ogai und die Vielfalt des Wissens".

 

Anne Dastig-Balland studierte Japanologie an der Inalco in Paris im Fernstudium, an der Humboldt-Universität zu Berlin und an der Ritsumeikan-Universität in Kyoto als Stipendiatin der japanischen Regierung. In ihrer Dissertation „Mori Mari and Her Alter Egos – A Horneyan Analysis” untersucht sie Maris Biographie, ihre Persönlichkeit und ihre Selbstzeugnisse anhand der psychoanalytischen Persönlichkeitstheorie Karen Horneys. In ihrer Magisterarbeit übersetzte und annotierte sie den Briefwechsel zwischen Mari und ihrer jüngeren Schwester Annu in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Ihr derzeitiges Forschungsinteresse liegt in der weiteren Erschließung von Maris Werken für westliche Leser:innen.