Humboldt-Universität zu Berlin - Kultur-, Sozial- und Bildungswissenschaftliche Fakultät - Institut für Asien- und Afrikawissenschaften

Senda Koreya

Bretter, die die Welt deuten
und verändern wollten - Senda Koreya 1904-1994

 

10. Juni - 15. August 2004



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Sein Markenzeichen: die lange weiße Mähne - wie man sie im traditionellen japanischen Theater sonst nur aus den Löwentänzen kennt -, mit einem Stirnband zusammengehalten, dazu der bequeme Trainingsanzug, die immer nur halb aufgerauchten Zigaretten. So saß er bei Proben, so schrieb er und so empfing er mich, als ich 1979 zum ersten Mal vor seiner Tür stand. Damals war er schon 75 Jahre alt und dennoch ungebrochen vital, wenn es um das Theater, also sein Leben, ging. Wir sprachen Deupanisch miteinander, er deutsch, ich japanisch, wir wollten beide üben. Kaum hatte ich die Schuhe ausgezogen, führte er mich in sein bis zur Decke mit Büchern ausgefülltes Arbeitszimmer, wies auf die Schreibmaschine und bat mich, doch bei der Beantwortung seiner Briefe aus Deutschland zu helfen. Er sei mit Büchern, Schauspielunterricht und Inszenierungen vollauf beschäftigt, hätte zwar kein Problem deutsch zu lesen, aber das Schreiben fiele ihm schwer, "Keine Zeit!" Dafür bekam ich all seine Freikarten, die ihm als dem großen Patron des japanischen Sprechtheaters zu Premieren automatisch zugeschickt wurden. Mir mittelloser Studentin ebnete er damit den Weg in die japanische Theaterszene.

Mit einem Stipendium des japanischen Kultusministeriums war ich zu Recherchen über die Theaterbewegung der 20er/30er Jahre nach Japan gekommen. Senda, 1924 Mitbegründer des ersten japanischen Sprechtheaters, des Tsukiji Kammertheaters, war einer der prominentesten noch lebenden Vertreter dieser Ära. 1924-26 hatte er dort seine erste Rolle als Zweiter Matrose in Reinhard Görings "Seeschlacht". Sein eigentlicher Name ist ITÔ Kunio. Den Künstlernamen SENDA Koreya hatte er sich zugelegt in ewiger Erinnerung daran, wie er nach dem Großen Kantô-Erdbeben 1923 für einen Koreaner gehalten und im Tokioter Stadtbezirk Sendagaya durch die Staßen gehetzt und geprügelt worden war. Die damalige Propaganda hatte die in Japan lebenden Koreaner als Sündenbock für die Verwirrung nach dem Beben benutzt. Von 1927 bis 1931 war Senda sogar Berliner, hier in der proletarischen Theaterbewegung aktiv, hörte Vorlesungen über Kunsttheorie bei Lu Märten, schaute Piscator bei Proben zu und verdiente sich nebenbei ein wenig Geld im deutschen Film. Zu seinen vielen Berichten aus Deutschland gehörte u.a. ein Artikel, mit dem er Käthe Kollwitz erstmalig in Japan vorstellte. Für die Aufführungen der "Truppe 1931" um Gustav Wangenheim entwarf er Masken, Requisiten und Kostüme. In der legendären agitpropartigen Revue "Die Mausefalle" sollte er als japanisierter "Requisiteur" selbst auf der Bühne stehen, wäre er nicht Sekretariatsmitglied des Internationalen Arbeiter-Theaterbundes (IATB) gewesen und kurz vor der Premiere von der Zentrale in Moskau zum Aufbau eines Fernostbüros in Japan nach Hause abberufen worden.

Obwohl zur selben Zeit in Berlin aktiv, sind Brecht und Senda einander nie begegnet. Vor seiner Abreise konnte Senda 1930 noch die Auführungen von "Mann ist Mann", der "Dreigroschenoper" und der "Maßnahme" sehen. Nach dem Zweiten Weltkrieg, den er wie viele linke japanische Intellektuelle und Künstler über längere Zeit im Gefängnis verbrachte, sollte Senda zum Wegbereiter Brechts in Japan werden. Ab 1953 hat er in dem von ihm gegründeten "Schauspieler-Theater" (Haiyûza) und bei anderen Truppen insgesamt 62 Mal Brecht inszeniert, zuletzt im Mai 1994 den "Kaukasischen Kreisekreis", sieben Monate vor seinem Tod. Gleichzeitig war er Herausgeber und Übersetzer der Werke Brechts. 1958-62 erschienen die Brecht-Stücke in fünf Bänden, 1973-1974 zwei Bände Schriften zum Theater. Dazwischen fiel die Herausgabe von Stanislawskis "Arbeit des Schauspielers " in vier Bänden. Seine eigenen Schriften zum Theater umfassen abgesehen von Beiträgen in Theaterzeitschriften u.a. allein mehr als 15 Bände. Schon frühzeitig widmete sich Senda den Problemen des künstlerischen Nachwuchses. An seinem eigenen Theater gründete er ein Schauspielstudio, lehrte und inszenierte später an der Kunsthochschule in Musashi und experimentierte mit jungen Schauspielern im "Brecht-Kreis" auf einer Probebühne, die er im Erdgeschoß seines Wohnhauses eingerichtet hatte. Ohne diese weitsichtige und zähe Ausbildungsarbeit Sendas würde die japanische Theater- und Medienlandschaft heute sehr dürftig aussehen. Eine schier unendliche Liste der heute bekannten Schauspieler und Dramatiker hat die ersten Bühnenschritte unter Sendas Anleitung gewagt.

In Japan, wo Theater ohne die Sicherheit eines staatlich subventionierten Hauses stattfindet, so überhaupt eines vorhanden ist, wo Inszenierungen unter extremen Bedingungen von Geldnot und Zeitdruck umgesetzt werden müssen, kommt dem organisatorischen Zusammenschluß der Theaterleute eine besondere Bedeutung zu. Es gibt kaum eine Vereinigung, der Senda nicht angehörte: so war er im Präsidium des Verbandes der Japanischen Sprechtheater, war selbst Vorstandsvorsitzender der Japanischen Philharmonie. Für uns besonders wichtig, sein Engagement als Mitglied verschiedener Freundschafts- und Kulturaustausch-Gesellschaften. 1984 hat er sich als Vizepräsident der Kulturgesellschaft Japan-DDR maßgeblich für die Errichtung der Mori-Ôgai-Gedenkstätte eingesetzt und war Mitunterzeichner des Spendenaufrufs zum Erhalt der Gedenkstätte nach dem Mauerfall.

Seine Regiearbeit umfaßt Inszenierungen moderner japanischer Autoren sowie klassische und moderne westliche Dramatik. Er war der Erste, der in Japan die Atomkraft auf dem Theater thematisiert und auf deren Gefahren hingewiesen hat. In seinem Heimatland ist er mit verschiedensten Kunstpreisen geehrt worden.

Seit 1979 war Senda Mitglied der Akademie der Künste der DDR. 1982 verlieh ihm die Humboldt-Universität die Ehrendoktorwürde. Wer ihn kannte, schätzte ihn als fürsorglichen, bescheidenen, offenen Menschen, dem der Kontakt zu deutschen Freunden und Kollegen nicht nur besonders am Herzen lag - ihr Wohlbefinden bei einem evtl. Besuch in Japan z.B. war für ihn keine Floskel, sondern Chefsache. Er weilte zu den Brecht-Dialogen 1968 und 1978 in Berlin, verfolgte aufmerksam das Berliner Theaterschaffen. Wo er nicht selbst Texte übertrug, gab er theaterwissenschaftliche Übersetzungen in Auftrag, sorgte also auf vielfältige Weise dafür, daß das Band, das er Ende der 20er Jahre zu Deutschland geknüpft hatte, nie abriß.

Sendas Leben spielte sich bis zum Schluß auf den Brettern ab, die die Welt bedeuten. Noch im Oktober 1994 begann er mit den Proben für die "Brüder Karamasow", die Anfang Dezember Premiere hatten. Am 21. Dezember verstarb er 90jährig. Am 15. Juli 2004 wäre Senda 100 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlaß zeigt die Mori-Ôgai -Gedenkstätte vom 10. Juni bis 16. August eine Sonderausstellung zu Leben und Werk des Grandseigneurs des japanischen Sprechtheaters. 
Beate Wonde
Foto: Mori-Ôgai-Gedenkstätte